DAS SORRAIA-PFERD
DAS SORRAIA-PFERD
DAS SORRAIA-PFERD – INFORMATIONEN, ZUSAMMENFASSUNG IN DEUTSCH
Sorraias stellen eine Restpopulation eines südiberischen Wildpferdes dar, das anscheinend weit-gehend unvermischt im damals unzugänglichen Gebiet des Sorraia-Flusses in Portugal überlebt hatte. Der portugiesische Wissenschaftler Dr Ruy d'Andrade hatte 1920 auf einem Jagdausflug dort diese Pferde entdeckt und ist verantwortlich für ihre Erhaltung. Aufgrund seiner Studien nahm er an, im Sorraia-Pferd den Vorfahren der Lusitanos und Andalusier gefunden zu haben.
Das Sorraia-Pferd ist in der Fachliteratur fast überall falsch beschrieben. Nachstehend die häufig-sten Falschdarstellungen:
- Der Sorraia wird vielfach als Pony bezeichnet, ist aber ein Pferd.
- "Sorraia" ist kein Synonym für "Garrano", der Sorraia steht dem Garrano-Pony nicht einmal nahe.
- Die Größe des Sorraias ist meistens falsch angegeben. Sie liegt bei 1,40 m Stockmaß, meistens darüber. Manche Hengste werden 1,50 m oder gar etwas darüber. Ruy d'Andrade gab die Höhe mit 1,41 m bis 1,43 m an
- Das Sorraia-Pferd hat nicht, wie manchmal angegeben, verschiedene Farben, sondern ist immer falbfarben, entweder grau- oder braunfalb (gelbfalb), wobei graufalb anscheinend die ursprüngliche Farbe war. Das bedeutet nicht, dass nicht auch einmal andere Farben auftreten können, aber sie sind dann eben atypisch. Auch in anderen Wildtierpopulationen kommen gelegentlich andere Farben vor, aber es ist auch klar, dass die Sorraia-Population nicht mehr reinblütig war, als d‘Andrade diese Pferde rettete. Darum ist eine gelegentliche andere Farbe auch daher zu erklären. Das Wildpferd, auf das die Sorraias zurückgehen, wurde in Portugal Zebro und in Spanien Encebro genannt, und die Beschreibungen deuten klar auf eine graufalbe Farbe hin. Es gibt noch heute viele Orts- und Flurnamen, die auf das Zebro hinweisen.
Heute gibt es nur noch etwa 150 bis 200 Sorraias, die meisten davon in Portugal. Sie leben heute nicht mehr wild, sondern werden meistens wie Hauspferde gehalten, wenn auch überwiegend in Robusthaltung. 2004 wurde ein Reservat in Südportugal gegründet, in dem wieder ein kleine Gruppe völlig unbehelligt vom Menschen lebt (s. Abhandlung unten).
Die heutigen Sorraias gehen alle auf nur 11 Tiere zurück, welche den Beginn von d'Andrades Er-haltungsprogramm bildeten. Sie sind deshalb alle eng miteinander verwandt. Leider wurde die Inzucht später noch unnötig verstärkt.
Das Sorraia-Pferd hat keine Historie als Hauspferdrasse, andernfalls hätte Ruy d'Andrade nicht auf dem XII. Internationalen Zoologischen Kongress in Lissabon über sie referiert. DNA-Analy-sen (mtDNA-Sequenzierungen) haben ergeben, dass das Sorraia-Pferd einen speziellen Genotyp aufweist. Die DNA-Forschungsergebnisse zeigen, dass das Sorraia-Pferd einen besonderen Status hat, der nahelegt, dass es eine iberische Lokalform des Tarpans ist.
Das Sorraia-Pferd kann gezähmt ein gutes Reitpferd abgeben. Da es aber keine Zuchtauslese auf Reitpferdeigenschaften erfahren hat, schwankt es in seiner Eignung individuell sehr stark. Typischerweise erfüllt es alle physischen Voraussetzungen eines Reitpferdes, aber vom Wesen und Temperament her, von der Kooperationsbereitschaft her sind viele längst nicht so einfach wie für das Reiten gezüchtete Pferderassen.
DER SORRAIA – NUR EINE WEITERE HAUSPFERDERASSE?
So wie das Sorraia-Pferd heute bei den meisten gehalten wird, könnte es tatsächlich so weit kommen, dass es demnächst zur Hauspferdrasse degeneriert ist. Dass die Pferde in Deutschland nicht halbwild gehalten werden können, ist verständlich, aber auch die Portugiesen machen heute vielfach leider Anstrengungen, diese Primitivpferde so schnell wie möglich in eine Hauspferdrasse zu verwandeln. Eine portugiesische Biologin bezeichnet sie schlicht als Rasse. Das ist im krassen Gegensatz zur Arbeit Ruy d'Andrades, der in ihnen Reste eines autochthonen Wildpferdes sah.
Es wurde hier und da behauptet, Sorraia-Pferde seien nur eine private Farbzucht von d'Andrade. Dazu ist zu sagen, dass jeder Beweis dafür fehlt. Ruy d'Andrade war ein angesehener Wissen-schaftler und zumindest in Portugal der angesehenste Hippologe seiner Zeit. Darüber hinaus hatte er auch als Zoologe und Archäologe einen Namen und war einer der berühmtesten Pferde-züchter. Er hat auch über Portugal hinaus in Spanisch und in Französisch veröffentlicht. Wenn die Sorraias eine Hauspferdrasse gewesen wären, hätte er dies gewusst und hätte nicht seinen Ruf als Wissenschaftler riskiert, indem er sie als Nachfahren eines eiszeitlichen Wildpferdes beschrieb. Ruy d'Andrade, der Entdecker dieser Pferde, war sehr viel besser qualifiziert, sie zu beurteilen, als jene, die sich heute dazu hinreißen lassen, fast hundert Jahre später.
Seine Beschreibung seiner ersten Begegnung mit diesen Pferden lautet, korrekt übersetzt:
"Später, 1920, sah ich auf einer Jagdtour in der Gegend von Coruche, am unteren Sorraia (Fluss), im Sesmaria-Gebiet, eine Herde von ca. 30 Tieren, mehr als die Hälfte davon waren helle (Hellbraun- bzw. Gelb-)Falben, manche waren Graufalben, viele mit übermäßiger Streifung (sehr starker Zebrierung), und generell in jeder Beziehung absolut wild oder primitiv, als ob sie eine Zebra-Spezies oder eine Halbesel-Spezies darstellten."
Es muss beachtet werden, dass d'Andrade hier keineswegs andeutet, dass diese Herde aus Pfer-den verschiedener Farben bestand, wie das gelegentlich interpretiert wird. Er sagte, dass mehr als die Hälfte Braunfalben/helle Falben waren – er erwähnte nicht, ob die anderen, unerwähnt gebliebenen, dunklere (Braun-)Falben waren oder wieviele Gelb- oder Graufalben weniger ausge-prägte Streifung hatten. Er erwähnt überhaupt keine anderen Farben als Braunfalben (Gelb-falben) und Graufalben. Das lässt zwar die Möglichkeit offen, dass ein paar Tiere eine andere Fär-bung hatten – was bei einer Restpopulation auch nichts Verwunderliches wäre –, aber tatsächlich erwähnte er keine anderen Farben.
In Übersetzungen ins Deutsche wurde das portugiesische Wort für Graufalbe in d'Andrades Be-schreibung dieser Herde als "grau" übersetzt, was auch für Schimmel stehen könnte, bzw. ins Englische wurde es direkt mit "grey" (Schimmel) übersetzt, was falsch ist. Das portugiesische Wort für Graufalbe ist "rato", das für Schimmel ist "ruço"; d'Andrade schrieb "rato"!
Sorraias zeigten bis Anfang/Mitte der 1990er Jahre vielfach noch ein typisches Wildverhalten. Dieses Wildverhalten ist, wenn es einmal verlorenging, für immer verloren, wenn den Tieren nicht nachgestellt wird. Wie die Koniks zeigen, die schon lange in großen Reservaten leben und dennoch völlig zutraulich geblieben sind.
Sorraias im Vale de Zebro Refuge
DAS SORRAIA-PFERD – RASSE ODER UNTERART?
Wenn das Sorraia-Pferd keine Rasse ist, dann muss es eine Unterart darstellen. Alle echten Pfer-de gehören zur selben Art, und auch das Mongolische oder Asiatische Wildpferd ist eine Unterart von Equus ferus. Das Hauspferd ist Equus ferus forma caballus, das Mongolische Wildpferd Equus ferus przewalskii. Der Name des Tarpans, als weiterer Unterart, ist Equus ferus ferus; er wurde als Unterart nie wissenschaftlich katalogisiert.
Der Zoologe spricht manchmal auch bei Wildtieren von Rassen, wenn es um Unterformen geht, aber der Begriff Rasse hat im normalen Sprachgebrauch eine andere Bedeutung und wird von der Oklahoma State University so definiert:
"Tiere, die durch Selektion und Zucht einander ähneln und diese Eigenschaften uniform an ihre Nachzucht weitergeben".
Jay L. Lush schreibt in "The Genetics of Populations":
"Eine Rasse ist eine Gruppe domestizierter Tiere, die so genannt wird aufgrund der Übereinkunft ihrer Züchter, ... ein Begriff, der unter Züchtern von Haustieren entstanden ist und der, so könn-te man sagen, für ihren eigenen Gebrauch geschaffen wurde, und niemand will diesem Begriff ei-ne wissenschaftliche Bedeutung geben oder die Züchter falsch heißen, wenn sie von der formu-lierten Definition abweichen. Es ist ihr Wort, und wie die Züchter es gewöhnlich gebrauchen, das müssen wir als korrekte Definition akzeptieren."
Lush zeigt hier auf, dass der Begriff "Rasse" domestizierten Tieren gilt. Eine Rasse hat einen Ras-sestandard, und der Begriff "Rasse" kann korrekt nur auf domestizierte Tiere (und Pflanzen) an-gewandt werden. Er bedeutet, dass diese Population von Tieren gemeinsame Eigenschaften auf-weist, die durch menschliche Zuchtauswahl entstanden und gefestigt wurden.
Es gibt keinerlei Hinweise dafür, dass das Sorraia-Pferd das Produkt menschlicher Zuchtauswahl ist. Es hat keine Historie als Hauspferdrasse, und da es prähistorischen Abbildungen autoch-thoner Wildpferde Iberiens entspricht und Beschreibungen aus dem Altertum, darum muss es als ursprüngliche Unterart gelten und nicht als Rasse. Was auf das Mongolische Wildpferd zutrifft, trifft alles auch auf das Sorraia-Pferd zu, mit der einzigen Ausnahme, dass es nie wissenschaftlich beschrieben wurde.
Der Begriff "Art" ("Spezies") umfasst wilde und domestizierte Tiere, d. h. wilde Tiere und die von ihnen abstammenden Haustierrassen. Bei Pferden haben wir Wildformen und die von ihnen ab-stammenden Hauspferdrassen, aber alle gehören zur selben Art.
SORRAIA-PHÄNOTYP
Das Sorraia-Pferd misst zwischen 1,40 m und 1,50 m Stockmaß; typischerweise sind die Pferde um 1,42 m/1,43 m groß. Es ist ein schlankes, schmales Pferd mit verhältnismäßig langen Beinen. Der Hals ist ausreichend lang und schlank, manchmal hirschhalsig, und klar ausgeschnitten in der Kehle. In mastiger Kondition entwickelt sich ein Speckkamm.
Der Kopf ist lang und hat ein konvexes Profil. Dieses konvexe Profil bezeichnet nicht eine Rams-nase, sondern weist eine mehr oder weniger stark konvexe Linie von den Ohren bis zum Maul auf, wobei die stärkste Vorwölbung etwas unterhalb der Augen liegt. Die Augen sitzen eher hoch, die Stirn ist schmal, die Ohren sind eher lang und nicht stark gekrümmt. Der ganze Kopf ist trocken und edel.
Widerrist und Schulter sind gut ausgeprägt. Der Rücken ist eher gerade und mittellang. Die Krup-pe ist schräg, aber nicht abgeschlagen, dachförmig und verhältnismäßig schmal, zu den Sitzbein-ästen hin enger zulaufend, ähnlich einer Eselskruppe. Vorstehende Hüftknochen sind eher ty-pisch, es sei denn, die Tiere sind fett.
Das Sorraia-Pferd ist schmalbrüstig, hat aber einen tiefen Brustkasten. Die Röhren sind eher lang, ebenso die Fesseln. Die Hufe sind klein bis mittelgroß. Die Beine sind trocken und haben keine auffallende Kötenbehaarung.
Sorraias haben eine erstaunliche Flexibilität, sowohl vertikal wie seitlich. Sie tragen sich sehr gut in der Bewegung und sind extrem agil. Ein gewisses Maß an Knieaktion ist typisch. Der Trab ist raumgreifend, der Galopp balanciert, mit gutem Untersetzen der Hinterhand. Manche Sorraias gehen angeborenen Tölt, was aber als Hinweis auf Fremdblut gewertet werden sollte (Garrano).
Alle Sorraias sind entweder graufalb oder braunfalb (gelbfalb). Im Gegensatz z. B. zum Mon-golischen Wildpferd oder auch dem Fjord Pony haben sie kein Mehlmaul, sondern eine dunkle Maul- und Gesichtspartie. Anders als das Mongolische Wildpferd sind Mähne und Schweif zwei-farbig, d. h. der dunkle Mittelstreifen (Verlängerung des Aalstrichs) ist von hellen, oft fast weißen Haaren beidseitig flankiert, wie man dies auch vom Fjord Pony her kennt.
Zebrierungen an den Beinen und über dem Widerrist sind typischerweise vorhanden. Früher wa-ren diese Pferd extrem gestreift, auch über dem Rücken, am Hals und am Kopf, was leider weit-gehend verlorengegangen ist. Über den Grund dafür kann nur spekuliert werden.
Typischerweise haben Sorraias keine weißen Abzeichen.
DAS SORRAIA-PFERD HEUTE
Neben dem Ursprungsland Portugal gibt es Sorraia-Pferde vor allem in Deutschland. Als 1974 das Überleben der Pferde wegen der portugiesischen Revolution hochgradig gefährdet war, wurden der Bestand in verschiedene Hände aufgeteilt, in der Hoffnung, dass wenigstens ein paar über-leben würden, und der deutsche Tierarzt Dr Schäfer bei München bekam zwei Hengste und fünf Stuten. Darauf gehen die meisten der in Deutschland stehenden Sorraias zurück. Später importierte Hardy Oelke einige Hengste und Stuten, die z. T. an den Tierpark Springe bei Hannover gingen. In Deutschland werden die Sorraias fast ausschließlich domestiziert gehalten. In Portugal gibt es noch einen Züchter, der sie halbwild hält, und andere, wo sie sehr naturnah leben, wo aber stärker Einfluss genommen wird. Allerdings gibt es in Portugal mittlerweile mehrere Stellen, wo sie absolut domestiziert gehalten werden, zum Teil sogar in Boxenhaltung. Beklagenswerterweise würdigen die Portugiesen diese Pferde nicht als den Schatz, den ihnen d‘Andrade hinterlassen hat.
Es gibt in Portugal derzeit nur ein Reservat, in dem Sorraias völlig wild leben, eine deutsch/portu-giesische Initiative.
"VALE DE ZEBRO SORRAIA HORSE REFUGE"
EINE HEIMET FÜR DIE WILDPFERDE – ENDLICH EIN RESERVAT FÜR SORRAIAS!
Von Martin Haller
Lange Zeit hielt man die Sorraias für die legitimen Vorfahren aller iberischen Pferde, gewisser-maßen für Ur-Andalusier. Der portugiesische Historiker, Zoologe und Pferdezüchter Dr. Ruy d'An-drade hatte die These vom iberischen Urpferd aufgestellt und damals durch sehr stichhaltige Ar-gumente untermauert. Ruy d'Andrade hatte selbst die letzten wildlebenden Sorraias im Gebiet des gleichnamigen Flusses entdeckt und eine kleine Herde bewahrt.
Mit der enorm angestiegenen Popularität aller iberischen Pferde (PRE, Lusitano) rückte auch das kleinere, eher unscheinbare Sorraia-Pferd etwas näher an den Mittelpunkt des Interesses. Es war sehr reizvoll, in ihm noch den direkten Vorfahren der prachtvollen Andalusier und Lusitanos zu sehen. Inzwischen weiß man allerdings aufgrund von DNA-Untersuchungen, dass es sich beim Sorraia nicht um einen Ur-Andalusier handeln kann, sondern um eine eigenständige Wildform, die genetisch nahe am Tarpan steht.
Selbst in seinem letzten Rückzugsgebiet in Portugal, im Ribatejo und Alentejo, ist das Sorraia-Pferd beinahe ausgestorben. In ganz Portugal leben zwischen 80 und 100 Exemplare, und in Deutschland gibt es etwa 60 dieser urtümlichen Pferde.
Es mutet schon etwas seltsam an, dass ausgerechnet zwei deutsche Hippologen ganz entschei-dend zur Popularisierung der Sorraias und zu deren Erhaltung beitrugen. Michael Schäfer lenkte durch seine Publikationen das wissenschaftliche Interesse auf diese Pferde und vermehrte sie auf seinem Hof bei München während drei Jahrzehnten, allerdings ohne wesentlichen Einfluss auf ihre Erhaltung im Herkunftsland Portugal zu nehmen. Dort kümmerte man sich von seiten des Staates und der privaten Pferdezüchter nur wenig um diesen genetischen Schatz, der aufgrund von In-zucht und mangelndem Interesse vom Aussterben bedroht war – so sehr, dass man einen Ge-samtbestand von nur mehr rund 100 Tieren vermutete. Erst Mitte der 90er Jahre fand sich erneut ein Mann, dessen Interesse und Engagement für die Sorraias zu einer positiven Wende führen sollte. Der bekannte Western Horse-Experte und Fachautor Hardy Oelke, schon immer sehr an Primitivpferden interessiert, stieß auf einer seiner Reisen in die Mustang-Reservate Amerikas auf freilebende Pferde, die seiner Meinung nach den Sorraias verblüffend ähnlich waren. Kurz ent-schlossen flog er nach Portugal, um sich aus eigener Erfahrung zu überzeugen. Aufgrund der phänotypischen Übereinstimmungen initiierte er dann das oben erwähnte DNA-Analyseprojekt, das in verschiedener Hinsicht wichtige Erkenntnisse zeitigte.
Schon bei seinem ersten Portugal-Besuch war Oelke beunruhigt über die Situation der Sorraias in ihrer Heimat, was sich bei jedem weiteren Besuch noch verstärkte. Er wollte etwas für diese in-teressanten Tiere tun und importierte 1997 die ersten Exemplare nach Deutschland, denen bald weitere folgten.
"Nirgendwo wurden die Sorraias als das angesehen, was Ruy d'Andrade in ihnen sah und weshalb er sie erhalten wollte", erklärt Oelke. "Und kaum irgendwo wurden sie entsprechend gehalten. Bis 1998 gab es noch eine kleine Gruppe, die praktisch wild und sich selbst überlassen leben durfte, die aber dann auch unter menschliche Einflussnahme kam. Überall sonst wurden und werden sie zunehmend wie eine Hauspferderasse behandelt. Ich erkannte, dass nur durch die Einrichtung ei-nes Wildreservats wenigstens ein Teil dieser Pferde in ihrer Ursprünglichkeit erhalten werden könnte. Im Grunde war das auch Ruy d'Andrades Grundidee gewesen, die aber seine Nachkom-men aus dem Auge verloren."
Nach Oelkes Beobachtungen zeichneten sich die Sorraias durch ein Wildverhalten aus, dass z. B. den Koniks völlig fehlt und auch bei Mustangs unter vergleichbaren Bedingungen nicht zu beob-achten ist. Dieses Wildverhalten droht mehr und mehr verlorenzugehen. Also begann er, in Por-tugal, in Deutschland und Holland nach einer Möglichkeit für ein Wildreservat zu suchen. Nach ei-nigen erfolglosen Anläufen kam es dann idurch Vermittlung eines portugiesischen Freundes zu einem Kontakt mit einer alteingesessenen Familie, die in verschiedenen Teilen des Ribatejo biolo-gische Land- und Forstwirtschaft betreibt. Diese Familie erklärte sich bereit, genügend Land für ein Sorraia-Reservat zur Verfügung zu stellen, weil sie Interesse an den Pferden hat. Sie freut sich, mit der Erhaltung dieser genetischen Kostbarkeit einen gemeinnützigen Beitrag leisten zu können, der von besonderem Wert für Portugal und darüber hinaus für die gesamte Pferdewelt ist.
"Besonders schön ist es, dass das Reservat im Vale de Zebro liegt, also einem Verbreitungsgebiet dieser uralten, portugiesischen Wildpferde", so Oelke, "denn 'zebro' bedeutete im Mittelalter wohl soviel wie Wildpferd."
Der 13. März 2004 wurde zu einem historischen Datum für die Sorraias, denn da wurden Oelkes Stuten in ihrer alten Heimat freigelassen, um dort den Kern einer neuen, freilebenden Herde zu bilden. Die Stuten waren tags zuvor auf einen Spezial-LKW der internationalen Pferdespedition Wiechers aus Deutschland verladen worden, welche großzügigerweise die lange Reise gen Süden gesponsert hatte. Wohlbehalten waren sie im "Vale de Zebro Refugio do Cavalo do Sorraia"
("Vale de Zebro Sorraia-Pferd Refugium") eingetroffen. Von der neuen Freiheit machten sie auch umgehend und ausgiebig Gebrauch: Über einen Tag lang blieben sie verschollen, und erst am fol-genden Abend konnte Oelke die kleine Gruppe finden, sich anpirschen und einige Aufnahmen schießen. Als die Stuten ihn bemerkten, ergriffen sie augenblicklich die Flucht – was Oelke nicht enttäuschte, sondern freute:
"In Deutschland war über die Jahre ihre Fluchtdistanz sehr geschrumpft – hier zeigten sie sofort, dass sie ihre alten Instinkte noch nicht ganz verloren haben. Ich hatte beobachtet, dass die Pfer-de bei mir in Deutschland wie auch bei den verschiedenen Haltern in Portugal zunehmend ihr natürliches Verhalten verloren. Darum bin ich über dieses Reservat so glücklich. Hier werden sie so frei und wild leben können, wie dies heutzutage in Europa nur möglich ist, und haben eine Chance, ihr ursprüngliches Verhalten zu bewahren."
Doch ohne Hengst würde das Ganze natürlich keinen Sinn machen, und seinen eigenen wollte Oelke nicht nehmen, da dieser bereits zu zahm war und außerdem der Vater einer der freigelas-senen Stuten. Also kontaktierte er Fernando d'Andrade, einen Enkel des Entdeckers der Sorraias, da er wusste, dass dessen Herde in Portugal noch die naturbelassenste war. Außerdem ist sie ge-netisch relativ weit von den freigelassenen Stuten entfernt.
"Alle Sorraias sind ohnehin eng verwandt", erklärt Oelke. "Aber ich wollte das Projekt auf eine genetische Basis stellen, die so breit ist, wie dies unter den gegebenen Umständen möglich ist. Die Stuten stammen aus zwei verschiedenen Beständen, und der Hengst sollte möglichst aus einem weiteren Bestand kommen."
Fernando d'Andrade unterstützte sofort bereitwillig das Projekt, und stellte großzügigerweise ei-nen Hengst zur Verfügung, der seine Fruchtbarkeit bereits unter Beweis gestellt hat. Er hatte kaum Kontakt zu Menschen gehabt und musste in einen Corral und von da über eine Verlade-gasse auf den LKW getrieben werden, da er natürlich niemanden an sich heran ließ. Als er im Re-fugio vom Lastwagen gesprungen war, machte er sich umgehend aus dem Staub. Vermutlich hat-te er die Stuten schon in der Ferne gewittert… Mit ihnen wird er hoffentlich in den nächsten zwei Jahren für Nachwuchs sorgen.
Das Reservat, nicht allzu weit von der Stadt Coruche entfernt, ist rund fünf Quadratkilometer groß. Klima, Pflanzenwuchs und Landschaft sind ähnlich jenen Bedingungen, welche die Sorraias seit Jahrtausenden in Portugal vorfanden, als sie noch als "Zebros" umherstreiften. Keinerlei Che-mikalien werden ausgebracht, weder in Form von Dünger, noch zur Schädlingsbekämpfung, so dass sich die Tiere so ernähren können, wie es ihrer Natur entspricht.
Der menschliche Einfluss wird bewusst minimal gehalten, selbst wissenschaftliche Beobachtungen sind vorerst nicht vorgesehen. Zwar wird das Gebiet regelmäßig von bewaffneten Forstaufsehern abgefahren, den Pferden will man aber nicht zu nahe kommen. Eine Einflussnahme soll darauf beschränkt bleiben, später ggf. überzählige Tiere herauszunehmen. Den Gesetzmäßigkeiten der Natur entsprechend, sollen dann die schwächsten Tiere ausgesondert werden.
Eine signifikante Beobachtung konnte bereits gemacht werden:
"Das Reservat bietet freie, offene Flächen ebenso wie bewaldete", berichtet Oelke. "Die Pferde haben nach der Freilassung sofort Zuflucht im Wald gesucht und konnten zumindest in der ersten Woche überhaupt nicht außerhalb des Waldes gesichtet werden. Das zeigt meines Erachtens, dass die landläufige Ansicht, Pferde seien nur Steppentiere, nicht verallgemeinert werden kann und auf jeden Fall neu überdacht werden muss."
Das einzige Gebiet, wo das iberische Zebro oder Encebro – heute bekannt als Sorraia – noch wild lebt!
Dieses Buch enthält die wichtigsten Informationen über das Sorraia-Pferd, das als Jagdwild noch bis ins 16. Jahrhundert hinein in Iberien bedeutungsvoll genug war, um in der Fachliteratur erwähnt zu werden. Es bietet auch einen Einblick in das Leben dieser Pferde im einzigen Reser-vat, in dem sie noch wild leben dürfen, dem Vale de Zebro Refuge in Portugal.
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WILDPFERDE GESTERN UND HEUTE
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